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Vögel/Birds
2021, Installationsansicht der dritten Berlin Britzenale, Zweikanal-Soundinstallation, Mixed media, Collage
 
Die Tonaufnahmen von Vögel, die die Grundlage dieser Arbeit sind, wurden in den 1930er Jahren von Ludwig Koch erstellt. Koch wurde 1881 in eine musikbegeisterte jüdische Familie in Frankfurt hineingeboren. Er studierte Gesang und begann eine kurze, aber erfolgreiche Karriere als Konzertsänger, die durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendet wurde. Sein Vater schenkte ihm als Kind einen frühen Phonographen, mit dem er mehrere Tiere aufnahm, darunter die erste bekannte Aufnahme von Vogelgesang im Jahr 1889. Weil er fließend Französisch sprach, trat er dem militärischen Geheimdienst bei. Nach dem Waffenstillstand 1918 wurde er Hauptdelegierter für die Rückführung in die von Frankreich besetzte Zone Deutschlands. Er war bis 1925 für die Regierung tätig. 1928 wurde er von der deutschen Tochtergesellschaft der Elektro- und Musikindustrie (EMI) in Berlin beauftragt, einen Kulturzweig innerhalb der Grammophonindustrie zu gründen. Hier lebte sein Interesse an Tieren wieder auf: Er begann ab 1929 mit der Aufnahme von Tiergeräuschen mit nun modernster Ausrüstung. Er erfand das „Hörbuch“, in dem er illustrierten Büchern Schallplatten beilegen ließ.
 
Im Januar 1936 unternahm Koch eine Vortragsreise in die Schweiz. Sein Rückflugticket gab ihm Hermann Göring, der als Vogel- und Tierliebhaber ein Fan von Kochs Werk war. Nach Kochs letztem Vortrag wurde er von einem Mann angesprochen, der ihm sagte, er sei der Vertreter des Dritten Reiches in der Schweiz und habe Kochs Vorträge verfolgt. Es stellte sich heraus, dass der Mann Wilhelm Gustloff war und am nächsten Tag ermordet wurde. Da Koch erst wenige Stunden zuvor gesehen worden war, wie er mit Gustloff gesprochen hatte, machte er sich Sorgen über seine Rückkehr nach Deutschland. Er befürchtete, man würde ihn mit dem Attentat in Verbindung bringen. Er rief den Direktor seiner Plattenfirma, einen Nazi, an, der zu ihm sagte: "Bleib einfach, wo du bist. Die Luft in der Schweiz ist viel besser als in Deutschland." Koch floh darauhin nach Großbritannien, wo er den Ornithologen und Verleger Harry Witherby für ein Hörbuch britischer Wildvögel interessieren konnte. 1936 wurde „Songs of Wild Birds“ veröffentlicht, gefolgt von zwei weiteren Hörbüchern („More Songs of Wild Birds“ 1937 und „Animal Language“ 1938). Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs sprach Koch der British Broadcasting Corporation vor und begann für die BBC als Moderator zu arbeiten. Seine unverwechselbare, musikalische Stimme mit dem starken deutschen Akzent, die seine Tonaufnahmen begleitete, wurde den Hörern bald bekannt und er erlangte einige Berühmtheit. Koch ging 1951 in den Ruhestand, unternahm jedoch weiterhin Expeditionen, um Wildtiergeräusche aufzunehmen. Er starb 1974 in London.
Die Vogelaufnahmen, die Koch in Deutschland gemacht hat und die in seinem Hörbuch „Gefiederte Meistersänger“ (1935) zu hören sind, befinden sich im Tierstimmenarchiv des Naturkundemuseums Berlin. Das Max-Planck-Institut besitzt zusammen mit der Humboldt- Universität ebenfalls einige seiner Hörbücher. Das Sound Archive der British Library enthält Aufnahmen und Manuskriptpapiere von ihm - sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache. Seine Sammlung übergab er noch zu Lebzeiten an die Bibliothek. Zudem hat die BBC sehr viele seiner Aufnahmen in ihren Archiven. Auch seine Enkelin bewahrt einige Objekte aus seinem Nachlass in London auf.
 
Die in der Ausstellung zu hörenden 20 Tonaufnahmen von jeweils 10 Vögeln wurden vor und nach seiner Flucht einmal in Deutschland (Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) und Großbritannien aufgenommen. Die Arbeit setzt sich auf diese Weise mit den Themen Flucht und erzwungene Migration, den Versuch im Dritten Reich, jüdische Intelligenz auszulöschen, sie aber dadurch auch Deutschland zu entziehen, der Re-etablierung in einem neuen Land und das Sich- nicht-abbringen lassen von einer Vision und Passion. Und vielleicht auch, dass Vögel frei sind und Ländergrenzen für sie irrelevant sind.
 
 
 
Idee und Konzept: Sonya Schönberger,
Tonschnitt und musikalische Umsetzung: Norbert Lang,
Recherche und Inspiration: Anthea Kennedy und Ian Wiblin
 
 

 

Vögel/Birds

2021, installation view third Berlin Britzenale, two-channel-soundinstallation, Mixed media, Collage 

 

The sound recordings of birds were made in the 1930s by Ludwig Koch and form the basis of this installation. Koch was born into a music-loving Jewish family in Frankfurt in 1881. He studied singing and began a brief but successful career as a concert singer, which was cut short by the outbreak of World War I. His father gave him an early phonograph as a child, which he used to record several animals, including the first known recording of birdsong in 1889. Because he was fluent in French, he joined military intelligence. After the armistice in 1918, he became chief delegate for repatriation to the French-occupied zone of Germany. He worked for the government until 1925. In 1928, he was commissioned by the German subsidiary of the electrical and music industry (EMI) in Berlin to establish a cultural branch within the gramophone industry. Here his interest in animals revived: He began recording animal sounds in 1929, using now state-of-the-art equipment. He invented the "audio book," for which he included records with illustrated books.  In January 1936, Koch went on a lecture tour to Switzerland. His return ticket was given to him by Hermann Göring, who, as a bird and animal lover, was a fan of Koch's work. After Koch's last lecture, he was approached by a man who told him he was the representative of the Third Reich in Switzerland and had been following Koch's lectures. It turned out that the man was Wilhelm Gustloff who was murdered the next day. Since Koch had been seen talking to Gustloff only a few hours earlier, he was worried about returning to Germany. He feared he would be linked to the assassination. He called the director of his record company, a Nazi, who told him, "Just stay where you are. The air in Switzerland is much better than in Germany." Koch then fled to Britain, where he managed to interest ornithologist and publisher Harry Witherby in an audio book of British wild birds. In 1936, "Songs of Wild Birds" was published, followed by two more audio books ("More Songs of Wild Birds" in 1937 and "Animal Language" in 1938). At the beginning of World War II, Koch auditioned for the British Broadcasting Corporation and began working for the BBC as a presenter. His distinctive, musical voice with the strong German accent that accompanied his sound recordings soon became known to listeners and he achieved some fame. Koch retired in 1951, but continued to go on expeditions to record wildlife sounds. He died in London in 1974.  

The bird recordings Koch made in Germany, which can be heard in his audio book Gefiederte Meistersänger (1935), are now to be found in the Animal Voice Archive of the Berlin Museum of Natural History. The Max Planck Institute, together with the Humboldt University, also holds some of his audio books. The Sound Archive of the British Library contains recordings and manuscript papers by him - both in German and English. He gave his collection to the library during his lifetime. In addition, the BBC has a great many of his recordings in its archives. His granddaughter also keeps some objects from his estate in London.  The 20 sound recordings of 10 birds each to be heard within the installation were recorded once in Germany (Brandenburg and Mecklenburg-Vorpommern) and Great Britain before and after his flight. In this way, the work deals with the themes of flight and forced migration, the attempt in the Third Reich to eradicate Jewish intelligence, but thereby also to be taken away from Germany, the re-establishment in a new country, and not letting oneself be deprived of a vision and passion. And perhaps also that birds are free and national borders are irrelevant for them.   

 

Idea and concept: Sonya Schönberger

Sound editing and musical realization: Norbert Lang

Research and inspiration: Anthea Kennedy and Ian Wiblin

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