Annäherung, 2020, 8 Minuten


Hallo Sonya, hier also die 7 Kisten, wohl an die 7.000 Nägel darin.

Was denkst du: haben Dinge ein Gedächtnis? Oder die Orte, die diese Dinge in sich bargen?
Können sie mit einem Fluch belegt sein? Etwa, weil Menschen diesen Ort verfluchten, den andere für sie geschaffen haben, zusammengezimmert, zusammengehalten, gedreht, geschraubt, aus Holz, Eisen, Stahl? Darf man einen solchen Ort betreten, ihn mit Lachen und Frohsinn füllen, mit harmlosen Gedanken? Spurenleser muss man werden, genau hinhören, hinspüren, um nach dem abgebrochenen und zerstörten Lebenszusammenhang zu schauen, ihn freizulegen.


Ich will dir ein wenig erzählen, damit du die Objekte besser verstehen kannst.

Die Weser-Flugzeugbau GmbH hatte den Auftrag, Sturzkampfbomber auf dem Tempelhofer Feld zusammensetzen. In Berlin gab es jedoch schon zu wenige arbeitsfähige Menschen, die diese Flugzeuge hätten fertigen können. So begann man, Gefangene des Krieges in der deutschen Industrie einzusetzen. Für sie benötigte man Unterkünfte, also Lager, Baracken. Die Baracken des Zwangsarbeiterlagers am Columbiadamm waren 55 Meter lang, 12 Meter breit, einstöckig aus Holz, zwei Reihen à 19 Stück. Französische Kriegsgefangene, sowjetische Männer, sowjetische Frauen. Wir haben Querschnitte aus Nummer 7 und 8 gegraben, die Baracken von sowjetischen Männern.

Wer wie in Zwangsarbeit zu behandeln sei war vorgeschrieben, gefangene sowjetische Soldaten kamen dabei am allerschlechtesten weg.


Das muss du im Gedächtnis behalten: der größte Teil der Nägel, die du nun abfotografierst, stammen von diesen Baracken und die waren Orte des absoluten Elends.



Kannst du nachvollziehen, dass die Nägel für mich metaphorisch für die Anonymität der Leute stehen, die an diesem Ort gewesen sind? Jeder einzelne Nagel hier ist einzigartig, hat seine eigene Geschichte.

Schaut man grob nach den Zahlen, gab es schätzungsweise 5 Millionen sowjetische Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg. Die Zahlen erscheinen so abstrakt wie die Anzahl der Nägel. Man geht mit den Zahlen um, aber man kann die einzelne Person nicht sehen. Wenn ich die Nägel durchzähle, ist keine Individualität vorhanden oder möglich. Jedes Stück ist in dem Moment nur ein Objekt. Und der ganze Umgang, das ganze Nachdenken über diese Menschen und dann auch über diese Objekte funktioniert sehr ähnlich - auch wenn es nicht dasselbe ist. Aber man kategorisiert. Man sagt objektiv, es gab soundsoviele sowjetische Kriegsgefangene. Aber wir kennen ihre Namen, ihre Gesichter, nicht. Man drückt sich unweigerlich vor dem, was mit dieser Art von Geschichte immer notwendigerweise verbunden ist: der Frage nach dem wirklichen Geschehen und den daran beteiligten Menschen.

Erinnern...mich fasziniert das so am Archäologischen, das man über Dinge an Personen erinnert, die anonym sind. Man hat die Funktion, die Leute darauf aufmerksam zu machen, hier war ein Zwangsarbeiterlager.
Aber wie kann man eine relevante Vergangenheitserzählung schaffen, die nicht oberflächlich daherkommt? Materialität lässt sich nicht wegdiskutieren. So ein Nagel lässt sich nicht wegdiskutieren. Dennoch sind solche Funde nicht einfach zu behandeln, weil sie in ihrer genauen Ausdeutung immer ambivalent sind. Die Nägel kann man nicht einfach in die Hand nehmen und sagen, das bedeutet jetzt das und das. Das geht einfach nicht.

Die historische Komplexität führt dazu, dass man Unrecht tut, wenn man vereinfacht. Aber es ist fast unmöglich, nicht zu vereinfachen.
Wenn du dir genau überlegst, was für Zustände damals geherrscht haben, dann sehe ich keine Möglichkeit, dem gerecht zu werden. Das geht nicht. Wer auch immer sich damit beschäftigt, kann eigentlich nur das Ziel haben, die Unmöglichkeit des Umgangs mit diesem ganzen Zeitraum und dem Leid klarzumachen. Man kann keine Sprache, keine Ausdrucksmöglichkeit finden, die dem gerecht wird. Das geht nicht. Man muss ganz umgekehrt anfangen. Man muss sagen, wir haben limitierte Möglichkeiten, das nachzuvollziehen. Aber verstehen können wir es trotzdem nicht. Das ist noch nicht mal eine Annäherung. Jede Vorstellung, man könnte sich in jemanden hineinversetzen, in die Zeit hineinversetzen, funktioniert nicht. Der ganze Umgang damit führt zu einem Paradox, das wir nicht auflösen können. Aber das wiederum löst aus, dass wir uns nicht zurücklehnen können und sagen, ja, wir haben das jetzt aufgearbeitet, jetzt ist mal Schluss. Das gibt es nicht, das geht nicht. Das wird es niemals geben.



Dear Sonya, here are the 7 boxes, probably about 7,000 nails in them.

What do you think, do things have a memory? Or the places that contained them?
Could they be cursed? Because people cursed this place that others had created for them, put together, held together, twisted, screwed, made of wood, iron, steel? Can one enter such a place, fill it with laughter and joyfulness, with harmless thoughts?

One has to become a tracker, to listen carefully, to feel, to look for the broken and destroyed context of life, to uncover it.

I want to tell you a little so that you can better understand the objects.

Weser-Flugzeugbau GmbH was commissioned to assemble dive bombers on Tempelhofer Feld. In Berlin, however, there were already too few able-bodied people who could have manufactured these planes. So they began to use prisoners of war in German industry. For them they needed accommodation, i.e. camps, barracks. The barracks of the forced labor camp on Columbiadamm were 55 meters long, 12 meters wide, one-story wooden, two rows of 19 pieces each. French prisoners of war, Soviet men, Soviet women.

We dug cross-sections from numbers 7 and 8, the barracks of Soviet men.

Who was to be treated how in forced labor was mandatory, Soviet soldiers were treated in the worst way.

You have to keep in mind: the majority of the nails that you are now photographing come from these barracks and they were places of absolute misery.

Can you understand that for me the nails metaphorically represent the anonymity of the people who have been there? Every single nail here is unique, has its own story.

If you look roughly at the numbers, there were an estimated 5 million Soviet prisoners of war in World War II. The numbers appear as abstract as the number of nails. You handle the numbers, but you can't see the individual person. When I count the nails, no individuality is present or possible. Each piece is just an object at that moment. And the whole dealings, the whole thinking about these people and then also about these objects works very similarly - even if it's not the same. But you categorize. One says objectively, there was this number of Soviet prisoners of war. But we don't know their names, their faces. One inevitably shuns what is always associated with this kind of story: the question of what really happened and who were the people involved.

Remembering...that's what fascinates me so much about archaeology, that one remembers people that are anonymous by looking at things. You have the aim of making people aware of it, this is were a forced labor camp was located.
But how can you create a relevant narrative of the past that doesn't seem superficial? Materiality cannot be argued away. A nail like this cannot be argued away. However, such finds are not easy to treat because their exact interpretation is always ambivalent. You can't just take the nails in your hand and say, this means this and that. It just doesn't work.

The historical complexity leads to the fact that one does wrong when one simplifies. But it's almost impossible not to simplify.

If you think carefully about what conditions prevailed at the time, I see no way of doing it justice. There's no way. Whoever deals with it can only have the goal of making clear that it is impossible to deal with this period and the suffering. You can't find a language, a way of expression that does justice to it. It is not possible. You have to start the other way round. You have to say that we have limited possibilities to understand this. But we still cannot understand it. This is not even an approximation. Any idea that you can put yourself in someone's shoes, put yourself in a different time, doesn't work. The whole way of dealing with it leads to a paradox that we cannot resolve. But that in turn triggers the fact that we cannot sit back and say, yes, we've worked it out now, now it's over. That does not exist, that is not possible. It will never exist.